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Mittwoch, den 03. März 10zurück zur Liste

Kleingedrucktes zur Fastenzeit

Haben Sie es bemerkt? Da stand es auf Seite 2 des Wochenblatts für St. Margareta vom 13.2.2010 ganz unten und ganz klein gedruckt: "…das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen und die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen…" (Jesaia 58,6-7)

Die mahnenden Worte aus dem Buch Jesaia haben auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren, obwohl sie vor zweieinhalb Jahrtausenden entstanden sind, nach der Heimkehr des Volkes Israel aus dem Babylonischen Exil. Im Gegensatz zu damals erleben wir heute Unrecht, Versklavung, Hunger, Obdachlosigkeit und vieles andere nicht mehr so offenkundig in unserer unmittelbaren Nähe. Aber die Medien, vor allem das Fernsehen, bringen vieles von dem, was in der Ferne geschieht, in unsere Wohnzimmer. Und das hat Folgen – oder sollte es haben. Denn wer nicht wegsieht, wer nicht weghört, wer sein Herz nicht verschließt, wer Gottes Stimme in sich zu Wort kommen lässt, für den wird das Fastenprogramm aus dem Buch Jesaia Teil der Lebensaufgabe. Schließlich finden wir dieses Programm auch im Evangelium.

Worauf beziehen sich diese Forderungen in unserer heutigen Zeit? Wir wollen uns einige Baustellen menschlichen Wirkens, wo Unrecht, Elend und Zerstörung herrschen, vor Augen führen, auch wenn die Wirklichkeit komplexer ist und viele dieser Schwerpunkte miteinander in direkter oder indirekter Beziehung stehen.

die Fesseln des Unrechts lösen — Wir Christen dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen für Hungerlöhne arbeiten müssen, wenn Korruption zum Geschäftsgebaren gehört, also Schmiergelder geboten und angenommen werden, Menschenrechte ignoriert werden, Landraub und Raubbau von Regierungen gedeckt oder gefördert werden, wenn sich organisiertes Verbrechen ungehindert ausbreiten kann, oder wenn Menschheitsgüter wie Wasser, Boden und Luft legal oder illegal beschädigt oder zerstört werden.

die Stricke des Jochs entfernen — Wir Christen dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Familien und besonders den Kindern kein Entkommen aus Armut und Elend ermöglicht wird, wenn unterdrückerische Arbeitsverhältnisse zunehmen statt abnehmen, wenn ausbeuterische Handelsabkommen zwischen ungleich starken Ländern abgeschlossen werden, oder wenn unser Wohlstand nicht nur, aber auch auf Ausbeutung, Vorenthaltung von Rechten, Verschwendung und Machtmissbrauch beruht.

die Versklavten freilassen — Wir Christen dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn junge Frauen und Kinder als Sklaven für uns Sportkleidung und Spielzeug herstellen, wenn Kinder als Kindersoldaten versklavt werden, zu Plünderung und Mord gezwungen werden, wenn Menschenhandel für Nachschub bei Zwangsprostitution, Organhandel, illegalen Arbeitsverhältnissen und anderen lukrativen "Geschäften" sorgt, oder wenn politisch oder religiös Andersdenkende ihrer Freiheit beraubt werden.

jedes Joch zerbrechen — Wir Christen dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Zwangsstrukturen keinen Widerstand erfahren, Geschäftsbeziehungen mit Diktaturen unterhalten werden, Konsumzwang und Markenzwang den Alltag bestimmen, menschenfeindliche Überwachungs- und Verfolgungsstrukturen aufrecht erhalten werden, Schutz- oder Hilfsbedürftigkeit ausgenutzt wird, permanentes Wachstum zum Ideal erhoben wird, oder wenn Waffengeschäfte eine friedliche Entwicklung verhindern.

an die Hungrigen dein Brot austeilen — Wir Christen dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn der Hunger in der Welt stetig zunimmt (derzeit leiden über eine Milliarde Menschen an Hunger, weitere zwei Milliarden sind fehlernährt), wenn der Export von Tierfutter und die Produktion von Agrosprit Vorrang vor der Erzeugung von Nahrungsmitteln bekommen, wenn menschengemachte Klimaveränderungen zu Dürreperioden, Überschwemmungen und Stürmen führen, die die Ärmsten auf der Welt ihrer Lebensgrundlagen berauben, wenn unsere Ansprüche und maßloser Eigennutz wirksame Gegenmaßnahmen verhindern, oder wenn sich Menschen von Abfällen ernähren müssen.

die obdachlosen Armen ins Haus aufnehmen — Wir Christen dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Fremdenfeindlichkeit, ein restriktives Asylrecht und eine rigorose Abschiebepraxis das Los von Flüchtlingen immer mehr erschweren und deren Tod in Kauf nehmen, wenn die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen nicht wirksam bekämpft werden, oder wenn Obdachlosigkeit durch Großprojekte wie Staudämme, Urwaldrodung, Erdölfelder und andere Formen der Zerstörung von Siedlungsgebieten erzeugt wird.

Mit einem Wort, wir dürfen nicht tatenlos bei einer Entwicklung zusehen, für die das Alte Testament die drastischen Worte findet:
"Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh." (Genesis 6,5-6)
Doch was können wir selbst tun, damit es nicht so weit kommt?

Wer macht was?
Sie werden sagen: Was können wir "normale Bürger" dagegen unternehmen? Klar, wir können nicht an allen Baustellen, wo Unrecht, Elend und Zerstörung herrschen, selbst eingreifen. Deshalb sollten wir für die Arbeit von Hilfswerken wie Misereor dankbar sein, die für uns tätig werden. Das Fastenopfer am 20./21. März 2010 gibt uns Gelegenheit, unsere Solidarität mit der gequälten Mitwelt und der bedrohten Nachwelt deutlich zum Ausdruck zu bringen.

Denn das ist das Ziel der Fastenaktion 2010: Gottes Schöpfung bewahren – damit alle leben können.

… alle, das sind alle heutigen und künftigen Menschen, das sind alle Tiere und Pflanzen, und damit auch alle Lebensgrundlagen, die zu Gottes Schöpfung gehören.

Und dann ist da noch der persönliche Lebensstil. Unser täglicher Bedarf, unsere Geldanlagen, unsere Fortbewegung, unsere Reisen, unsere Kleidung, unser Energieverbrauch, unsere Rolle in der Gesellschaft und vieles andere mehr gehören immer wieder kritisch überprüft. Doch nicht nur das. Auch beim Widerstand gegen Fehlentwicklungen können wir mitmachen. Hilfswerke wie Misereor, Umweltorganisationen, Menschenrechtsorganisationen, Naturschutzverbände und andere seriöse Nichtregierungsorganisationen (NROs) machen es möglich, vom Wohnzimmer aus über das Internet gegen Verletzung von Menschenrechten, schwerwiegende Umweltschäden, Ausbreitung von Hunger und Elend, Unterstützung despotischer Regime und anderes mehr zu protestieren und diese Arbeit finanziell zu unterstützen.
Unser so gerne als "Tropfen" bezeichneter Beitrag landet jedoch nicht auf dem bekannten heißen Stein, sondern bringt früher oder später das Fass zum Überlaufen oder höhlt zumindest den Stein des individuellen oder kollektiven Egoismus aus.

Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

Gernot Richter